Selbstregulation im “Möglichkeitsraum“ Coaching
Ich gehe spazieren, ein Tag im Herbst, die Dämmerung ist schon vorüber, die Straßenlaternen brennen, ich bin alleine auf dem Weg und genieße das. Ich lasse meinen Tag in Gedanken an mir vorüberziehen. Welche Dinge klingen noch nach, was habe ich heute gewirkt. Mein Weg führt mich an der Neuen Messe vorbei, es ist still.
Plötzlich unterbricht ein unerwartetes, deutliches Rascheln meine Gedanken. Ich erschrecke und mache unwillkürlich einen Schritt weg von der Quelle. Mein Blick folgt dem Geräusch und entdeckt wilde Hasen, die offenbar in einem Gebüsch ihr Lager aufgeschlagen haben und dort im Laub wühlen. Dann weicht mein Schreck einem Lächeln.
Als Coach hilft es mir zu wissen, wie Gefühl und Verstand zusammenspielen
Mit dem Gefühl und dem Verstand verhält es sich in etwa so: Zuerst bildet unser System auf die Informationen, die es erhält, eine ungenaue Gefühlsreaktion aus. Dann erst bringt der Verstand seine Interpretation dazu. Er prüft die Informationen, die wir empfangen, genauer und kann diese einordnen. Dafür braucht er länger.
Gerhard Roth, ein mittlerweile verstorbener Biologe und Hirnforscher, beschreibt, dass unsere Gefühle „konzentrierte Erfahrungen“ widerspiegeln. Sie geben uns eine schnelle unbewusste Reaktionsmöglichkeit auf unmittelbare Ereignisse. Diese unmittelbare Gefühls-Reaktion leitet unsere Handlungsrichtung, sie warnt uns oder weißt uns eine Richtung.
Auch für unseren Arbeitsalltag hat das Relevanz
Wenn wir uns im täglichen Beziehungsgeflecht mit Mitarbeitenden oder Führungskräften bewegen, erleben wir ständig Gefühlseindrücke. Sie leiten uns zu einer Handlung, die unserer (vergangenen) Erfahrungswelt entspricht. Es ist sehr wichtig, diese Gefühle wahrzunehmen. Sie vermitteln uns einen ersten Eindruck, ob die Situation in der wir uns gerade befinden, uns wohl tut oder nicht.
Aber: Wir sind nicht gezwungen danach zu handeln. Unser Verstand hat die Fähigkeit, Zukünftiges zu ermessen. Er kann Pläne schmieden, kann Konsequenzen aus rechnen, kann den Mehrwert ermessen, den z.B. ein neues Projekt oder eine neue Rolle mit Führungsverantwortung uns bringen wird.
Synchronisierung unserer verschiedenen Eindrücke
Gefühle sind also ein wichtiger Bestandteil unserer Persönlichkeit, aber ebenso der Verstand. Wenn beide in einer stimmigen balancierten Beziehung in uns miteinander stehen, sprechen wir von Selbstregulation. Dafür ist eine differenzierte Selbstwahrnehmung Voraussetzung.
Und Selbstregulation im Möglichkeitsraum Coaching? In meinem Coachingverständnis ist begeben wir uns im Coaching in einen „Möglichkeitsraum“, in dem der Coachee vergangene und aktuelle Beziehungserfahrung reflektieren und andere Reaktionsweisen unvoreingenommen „testen“ kann. Immer wieder lasse ich diese Überlegungen zur Selbstregulation von Gefühl und Verstand in meine Coachings einfließen, z.B. in gesonderten Fragen, in Methoden wie der Affektbilanz oder dem Konzept der somatischen Marker. Mehr zu meinem Coachingverständnis lesen Sie auch in diesem Blogartikel.
Den Hasen geht es offenbar anders als mir. Nachdem sie mich entdecken, erstarren sie in ihrer ersten Reaktion kurz. Dann sucht der erste das Weite. Die anderen folgen sehr schnell und verschwinden in der Dunkelheit im nächsten Gebüsch. Und das mitten in der Stadt.
Bleiben Sie neugierig
Ihr Felix Pritschow